„Berufung ist ein schöpferischer Prozess“
„Wie viele Wege gibt es zu Gott?“, fragte ein Journalist den damaligen Joseph Kardinal Ratzinger, später Benedikt XVI. Seine Antwort: „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.“ Die engere Nachfolge Christi im Ordensleben und Priestertum ist so ein Weg. Mit P. Nikolaus Klemeyer LC, Novizenmeister der Legionäre Christi in Europa, sprachen wir darüber, ob dieser Weg für junge Männer heute noch attraktiv ist und wie sich die Berufungspastoral auf heutige Generationen einstellen muss.
L-Magazin: Pater Nikolaus, seit 2021 leiten Sie das europäische Noviziat in Madrid. Bereits vorher waren Sie im Noviziat in Deutschland tätig. Es sind nur noch wenige, die diesen Weg heute wählen. Warum und was suchen diese jungen Männer?
P. Nikolaus: Das Noviziat möchte die Grundlagen für ein Leben als Ordensmann und zukünftiger Priester legen. Ich beobachte jedoch, dass die jungen Männer noch vor dem Eintritt Antworten auf grundlegende Lebensfragen suchen: Wer bin ich? Wer ist Gott für mich? Was bedeutet mir Gottes Barmherzigkeit? Was ist der tiefe Sinn meines Lebens? Was bedeutet mein Leben in den Augen Gottes? Was hat er mit mir vor? In einer zunehmend säkularisierten Welt und geschwächten kirchlichen Umfeldern finden sie darauf kaum noch Antworten. Diese Fragen müssen wir in der Berufungspastoral heute erst einmal aufgreifen.
Aber ist das katholische Priestertum heute noch attraktiv?
P. Nikolaus: Ich erlebe, dass die Berufung zum Ordensleben auf junge Menschen eine besondere Anziehungskraft ausübt. Sich ganz Christus hinzugeben, ist für junge Menschen immer noch etwas Faszinierendes, wenn er oder sie erfährt, dass man das in Freude und Freiheit leben kann. Die jungen Menschen von heute sehnen sich nach Vertrautheit mit Christus, nach Heilung und Hingabe. Sie suchen das Ehrliche und Authentische. Wenn sie diese Aspekte und Charakteristiken bei einem Priester oder einer Gemeinschaft finden, fühlen Jugendliche sich angezogen. Formelles oder Gespieltes funktioniert bei ihnen nicht. Das empfinde ich als sehr positiv.
Wie gehen sie als Novizenmeister damit um?
P. Nikolaus: Die Suche nach dem Sinn des Lebens ist ein innerer Prozess, der mehr Zeit braucht als früher und viel tiefer geht. Es ist wichtig, den Jugendlichen, noch vor dem Eintritt in das Noviziat, die Zeit zu lassen, die sie brauchen. Dabei legen sie viel Wert auf persönliche und individuelle Begleitung. Hier arbeiten wir heute intensiver und individueller auf dem Niveau der Berufungsunterscheidung. Der junge Mann tritt in das Noviziat ein, wenn er wahrnimmt, dass er bereit ist und dass Gott ihn um diesen nächsten Schritt in seinem Leben bittet. Das ist eine Art schöpferischer Prozess: Gott möchte, dass jeder an seinem Leben mitbaut. Auch das ist Berufung, der aktive Teil der Berufung. Für die jungen Männer ist das eine Freude zu erleben: Ich kann mich selber einbringen, mitprojizieren, herausfinden, wohin geht es und wie entspricht es meinem eigenen Sein, Charakter und Persönlichkeit.
Wie könnte eine fruchtbare Berufungskultur in der Kirche aussehen?
P. Nikolaus: Unser aller Gebet um Berufungen ist wichtig. Es ist die Bitte Jesu Christi, dass wir das tun. Für Eltern ist es sehr schön, den Söhnen und Töchtern dieses Verständnis zu vermitteln, dass schon unser Leben eine Berufung ist, kein Zufall. Für jeden von uns gibt es einen liebevollen Plan Gottes. Gott möchte, dass wir glücklich und erfüllt sind und begleitet uns zu einem Leben mit Sinn. Wenn ein junger Mensch dies erlebt, stellt sich fast von selbst die Frage nach der Berufung, ob zum Eheleben oder zum geweihten Leben.
Danke für das Gespräch!